Mittwoch, 26. Oktober 2011

Halbzeit

Wir sind seit 7 Wochen in Phnom Penh. Es ist nicht mehr alles neu und fremd und erstaunlich. Es ist vielmehr so, dass wir inzwischen unseren kleinen Alltag organisiert haben und den auch im Griff haben. Wir wissen, wo in der Stadt das leckere Graubrot nach deutschem Rezept gebacken wird und wir kennen die Ecke, wo Zeitungen verkauft werden. Stephan organisiert den Haushalt, er kennt die Bankautomaten und deren Tuecken und geht einkaufen. Ich kuemmer mich um das Grosse Ganze und den Weltfrieden.

Und wahrend wir immer mehr ankommen verabschiedet sich die Regenzeit. Der letzte Regenguss ist schon 5 Tage her, seit einer Woche scheint morgens sogar die Sonne. Tagsueber weht ein heisser Wind der zwar keine Abkuehlung bringt, der aber die stehende Hitze angenehm durchwirbelt. In unserem Schlafzimmer haben wir die Klimaanlage auf 26 Grad eingestellt. Wenn wir abends von der Terrasse ins Schlafzimmer kommen erscheint uns der Raum so kalt, dass wir hinter unserem Bett Ausschau nach kleinen Pinguinen halten.

Unveraendert ist das Verkehrs-Chaoos in der Stadt. Neu ist nur, dass ich inzwischen aktiv im Chaos mitmische. Mit einem YIPPIE-Ruf auf den Lippen schwinge ich mich auf mein Fahrrad und kaempfe vor und auf den Kreuzungen um jeden Zentimeter. Die zwei einzigen Verkehrsregeln habe ich gelernt:

(1) Gross hat Vorfahrt
Gelaendewagen also haben ob ihrer schieren Groesse Vorfahrt. Wenn sie sich die SUVs langsam in die Kreuzung schieben weichen die Autos aus. Die Mofas weichen den Autos aus und die Fahrradfahrer umfahren die Mofas. Fussgaenger? Denen gnade Gott.

Ausnahme dieser Regel ist Stephan. Wenn Stephan mit seinen 1,83 Metern, Bart, Ohrringen und Schlapphut die Strasse quert haelt der Verkehr an. Maenner am Lenkrad halten mit offenem Mund Abstand vor der Erscheinung, Frauen und Kinder drehen sich um und erstarren.

(2) Masse macht Macht
Ein einzelnes Mofa hat hier keine Moglichkeit ueber die Kreuzung zu kommen. (Siehe Regel 1) Aber 20 Mofas zusammen ergeben eine kreuzungsfaehige Strassen-Macht. Und so warten einzelne Mofas zunaechst am Kreuzungspunkt. Jedes dazukommende Mofa schiebt sich rechts der links an den Wartenden vorbei und draengelt sich ein paar Zentimeter weiter nach vorne. Und wie eine zaehfluessige Masse schiebt sich dann eine Armada von Mofas langsam in die Kreuzung. Rechts und links stauen sich neue Autos und Mofas. Wenn sich genug Masse gesammelt hat, schiebt sich von dort wieder langsam ein zaeher Fluss Mofas und Autos in die Kreuzung.



Noch eine Ausnahme der Regel: Grosses Fahrzeug, kleine Strassen-Macht

Viele Leute auf einem Mofa erhoeht ebenfalls die Kreuzungs-Quote

Als Fahrradfahrerin fahre ich also gerne im Pulk mit 30 anderen Mofas ueber die Strassen. Dabei gilt es jeden Zentimeter auszunutzen um irgendwie nach vorne zu kommen. Abstaende muessen nicht eingehalten werden, Fussgaengerwege sind fuer Autos gesperrt – fuer alle anderen Fahrzeuge aber willkommene Fahrbahn. Es ist grossartig! Und da kann Hamburg noch von lernen. Ich erwaege, ab Januar in der Hansestadt diesbezueglich aktiv Hilfezu leisten und Kulturtransfer zu vollbringen.

Auch bezueglich Transportfaehigkeit und Ausnutzung moeglicher Stauraumkapazitaeten koennen wir noch lernen:
Aus Alltagsschnipsel

Aus Alltagsschnipsel

Ein mich ebenfalls immer wieder entzueckender Anblick sind die eingeruesteten Gebaeude. Es wird mit Bambus gearbeitet...
Aus Alltagsschnipsel
Aus Alltagsschnipsel

Mofas sind ueberall. Auf den Markt gehen heisst hier auch auf den Markt fahren:
Aus Alltagsschnipsel
Und natuerlich dort auch einzukaufen:
Aus Alltagsschnipsel

Und ansonsten? Ist hier Alltag. Stephan musste tiefer in die Alltagskultur eintauchen, als ihm lieb war:
Aus Alltagsschnipsel
Und ich gebe zusammen mit der Tochter unserer Vermieter die Vorlage fuer den Zahnarzt: soviel Lachen muss es mindestens wieder werden!

Aus Alltagsschnipsel

4 Kommentare:

  1. Hallo ihr zwei.

    Da müssen wir Annettes Arbeitgeber wohl erst einmal vorwarnen, das sie die erste Zeit, nach Ankunft in Hamburg, etwas später zur Arbeit kommt. Bis sie ein Pulk findet, der sie um die Ecke begleitet, könnte es etwas dauern. :-)

    Und Stephan sollte Straßen, am Anfang meiden. Mich haben sie vor kurzen, bei grüner Fußgängerampel, von der Straße gehupt. Also hier hält keiner. ;-)

    Liebe Grüße aus Hamburg

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  2. Huhu!
    Tja dann: Immer schön Zähne zusammenbeißen, und so, nicht -?
    Nochmal heißen Dank für diesen wunderbaren weit-weg-isses-auch-schön-blog, ich lese und lache immer wieder gern. Und bekomme dannauch per Mail die updates von Stephans Twilight-Adventures. Scary, man!
    Ansonsten natürlich auch interessant, wie liberal da unten der Umgang mit Weichware ist. Also wenn es um schmale Münze ein aktuelle Adobe Creative Suite mit PSP & InDesign gäbe ... Nuna, lieber per Mail sowas ausdiskutieren, näch?
    Hier ist ansonsten alles geradezu furchtbar langweilig in Ordnung. Die Nächte werden länger, die ersten Marketingabteilungen senden Weihnachtsnachrichten. Vor Aber-Hallo-Wien! Nuja - erst mal zurück ins Funkhaus - Claus

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  3. @ Claus - ich hoere mich mal um. Weihnachten hier in der Stadt uebrigens noch kein Thema. Bin gespannt, ob es das noch wird... Aber bei 35 Grad Hitze freue ich mich schon auf die ersten Styropor-Schneeflocken!

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  4. Hej Bahner - *lach* - Stephan und ich werden uns beide wieder auf den Hamburger Verkehr einstimmen muessen, keine Frage. Schoen waere es hierbei, wenn sich der besorgte Freundeskreis in Hamburg dazu schon mal Gedanken machen koennte und uns ein zweiwoechigen Re-Integrationskursus an der See organisieren koennte. Wellness und Sauna-Grosslandschaft muesste dabei sein um uns auch klimatisch wieder einzunorden. Waere das wohl machbar, Torsten, Bester_Bahner ?

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